IGmA-Lehrveranstaltungen WiSe 2021/22

Off-Grid/Off-Shore: architektonischer und politischer Raum um 1976 (Seminar)

Dozent: Hermann, Leo

Das Forschungsseminar untersucht die Neuverhandlung architektonisch-städtischer und politisch-territorialer Räume Mitte der 1970er Jahre. In Zeitschriften wie Casabella und in der Arbeit von Architekt*innengruppen wie Missing Link, Haus-Rucker-Co oder Cavart zeigt sich zu dieser Zeit einerseits eine Tendenz zur Entgrenzung: Architektur wird als komplexes Dispositiv begriffen, das in alle Lebensbereiche und Funktionssysteme ausgreift – „an unclosed (not simply ‚reticular‘) physical-environmental-cultural system“ (Franco Raggi in Casabella 3/1976). Gleichzeitig entstehen unter dem Einfluss des sich neuformierenden Ökologiediskurses zahlreiche Konzepte für autonomes Wohnen: Ein Leben „off-grid“ wird insbesondere in England und den USA zum Leitbild von Architekt*innen wie Helga und William Olkowski, Peter Harper, Graham Caine oder Robert Reines.

Dieses Pendeln zwischen Entgrenzung und Autonomie lässt sich gleichzeitig auf politisch-territorialer Ebene beobachten: Der „embedded liberalism“ (John Ruggie) der Nachkriegsjahrzehnte weicht zunehmend einem globalisierten, stärker finanzialisierten und nachfrageorientierten Wirtschaftssystem. Supranationale Institutionen wie der Internationale Währungsfonds und die Weltbank übernehmen wesentliche Steuerungsfunktionen. Gleichzeitig entstehen die ersten modernen Freihandelszonen und Sonderwirtschaftszonen – Blaupausen eines Urbanismus „off-shore“, der gegenwärtig an Bedeutung zu gewinnen scheint: So befinden sich derzeit, auch in Europa, mehrere sogenannte „Free Private Cities“ in Planung. Auch das Projekt beispielsweise der britischen Regierung für eine Reihe neuer Freihäfen steht in diesem Zusammenhang.

Wir werden diese Entwicklungen im Seminar anhand unterschiedlicher Quellen nachvollziehen wie Zeitschriften, Broschüren, Projektdokumentationen aber auch journalistische Recherchen und öffentlich zugängliche Statistiken. Zugleich werden wir mögliche Hintergründe diskutieren. Einen Erklärungsansatz stellt beispielsweise die Theorie des „Uneven development“ dar, die maßgeblich vom schottischen Geographen Neil Smith entwickelt wurde. In Abweichung von einer weit verbreiteten Vorstellung lässt sich die Globalisierung für Smith nicht als fortschreitende Nivellierung beschreiben, sondern muss als dialektischer Prozess betrachtet werden: „Territorial differentiation and the universalizing of the world market proceed as a single process“. Wir werden anhand des umfangreichen digitalen Archivs der Vereinten Nationen auch untersuchen, ob sich diese die erste Habitat-Konferenz, die vom 31. Mai bis 11. Juni 1976 in Vancouver stattfand, in diesem Sinne verstehen lässt. Indem wir uns zunächst auf das Jahr 1976 konzentrieren, soll die Vielfalt und Disparität der Quellen durch ihre zeitliche Nähe plausibel gemacht werden. Zugleich können wir uns dabei methodisch an zahlreichen populären Veröffentlichungen der vergangenen Jahre orientieren wie Philipp Sarasins 1977. Eine kurze Geschichte der Gegegenwart oder Frank Böschs Zeitenwende 1979.

Zeitgenössische Architekturtheorie im globalen Kontext (Seminar)

Dozent: Prof. Trüby, Stephan

Der zeitgenössische Architekturdiskurs, den wir für diese Seminar um ca. 1967/68 beginnen lassen wollen, ist vor allem mit vier Themen beschäftigt: ökologischen Fragen, sozialen Fragen, dem Prozess der Digitalisierung sowie dem Moderne- bzw. Postmoderne- bzw. postkolonialen Diskurs. Im Rahmen des Seminars wollen wir diese Themen im deutschen und internationalen Kontext aufarbeiten, und zwar mit besonderem Fokus auf Institutionenfragen. Wie haben Institute, Schulen, Museen und andere institutionelle Gründungen seit Ende der 1960er Jahre den Architekturdiskurs mithilfe von Ausstellungen, Publikationen, Magazinen und anderen Aktivitäten verändert? Es ist angedacht, ausgewählte Ergebnisse des Seminars in ein Buchprojekt des IGmA zum zeitgenössischen Architekturdiskurs seit 1967/68 einfließen zu lassen. Texte von Helga Fassbinder, Jürgen Habermas, Thilo Hilpert, Rem Koolhaas, Bernard Tschumi, Karin Wilhelm und vielen anderen werden uns durch das Seminar begleiten.

Literatur zum Einstieg:
Gerd de Bruyn, Stephan Trüby (Hrsg.): architektur_theorie.doc. Texte seit 1960 (Birkhäuser 2003)
K. Michael Hays (Hrsg.): Architecture Theory Since 1968 (MIT Press 1998)
Dietmar Steiner: Steiner's Diary: Über Architektur seit 1959 (Park Books 2016)

Paradigmen des Architektonischen (Seminar)

Dozent: Mayer, Hartmut

Anhand der architekturtheoretischen Reflexionen von Le Corbusier und Auguste Perret wird im Seminar nach den Bestimmungsgründen des Architektonischen gefragt: Gibt es das Architektonische, das auf Regeln und Formen von zeitloser Gültigkeit basiert, oder ist Architektur eine Disziplin, die sich permanent neu erfinden muss? Le Corbusiers und Auguste Perrets Architekturen verkörperten bis über die Mitte des 20. Jahrhunderts hinaus zwei grundsätzlich verschiedene Ansätze, wie die klassische Architekturtheorie in die Moderne überführt werden kann. Diese Ansätze besitzen auch heute noch Gültigkeit und können als Paradigmen dafür dienen, wie die Architektur sich auf einen „Kern des Architektonischen“ beziehen und sich zugleich permanent erneuern kann.
Was dieser überzeitliche „Kern des Architektonischen“ allerdings ist, darüber wurde bereits im 17. Jahrhundert in der sogenannten „Querelle des anciens et des modernes“ gestritten. Im Seminar werden die ästhetischen Theorien und architekturtheoretischen Programme dieses „Streits“ reflektiert und in ihrer Relevanz bis in die Gegenwart verfolgt.

RECHTE RÄUME RIGHT-WING SPACES (IN STUTTGART) Workshop On Mapping Authoritarian (Meta-)Politics in Architecture, Urbanism and Culture

Dozent: Krüpe, Philipp

Right-wing politics have implications on architecture, urbanism and culture.
The Institute for Principles of Modern Architecture (IGmA) tries to make this evident with the ongoing and collaborative research project „Rechte Räume Right-wing Spaces“. The aim of Rechte Räume is to give architectural-political observations and reports that scrutinize the spatial authoritarianisms and colonialisms globally as well as to investigate „post-factual“ claims of absolute and immiscible culture and identity, that are increasing their presence within media, particularly social networks.

In this research project we will analyze and work with the existing research material of Rechte Räume but also dig into the consequences of the described implications in the area of Stuttgart.

Our medium of choice is a (currently developed) digital platform / online atlas, which will be filled with video content. Besides the content, the appropriate use of the medium film and its performance are important elements of the workshop. Hardware and relevant tutorials will be provided.
Due to the uncertain pandemic situation the workshop is devised as a hybrid seminar with digital as well as in-class sessions. More information soon.

Stoccarda Interrotta/Stuttgart Interrupted – Ein spekulatives Stadtmodell (Entwurf)

Dozierende: Prof. Trüby, Stephan; Hermann, Leo

Das IGmA beschäftigt sich seit 2018 im Rahmen der Entwurfslehre intensiv mit der Stadtregion Stuttgart. Als Gegenmodell zu einem am Stadtbild orientierten Entwerfen erforschten die Studierenden in den vergangenen Semestern Kontexte und Abhängigkeiten einer prosperierenden Industrieregion, deren Widersprüche zunehmend deutlich zutage treten. Die Auseinandersetzung mit Stuttgart war zugleich eine Kritik des Leitbilds der „Europäischen Stadt“, das derartige Zusammenhänge systematisch ausblendet und sich vor allen Dingen als Argumentationshilfe einer vorrangig an Kapitalinteressen orientierten Stadtentwicklung und wichtiger Bezugspunkt reaktionärer Kulturpolitik erwiesen hat. Dabei wurde auch das Entwerfen mit unterschiedlichen Formen und Medien jenseits der traditionellen Architekturrepräsentation erprobt – zuletzt stand die Auseinandersetzung mit Memes und Videos im Mittelpunkt. Die Projekte, Analysen und Utopien der Studierenden ergeben Fragmente eines spekulativen Stadtmodells für die Region Stuttgart.

Die Auseinandersetzung mit der Stadtregion Stuttgart soll nun zu einem (Anti-)Manifest verdichtet werden: Als Beilage zu einer gemeinsam mit der IBA’27 und dem IGmA erarbeiteten Ausgabe der Zeitschrift ARCH+ wird im Frühjahr 2022 ein feature zur Entwurfslehre der vergangenen Semester erscheinen. Dabei stellt sich die Frage nach der Form des Manifests: Rob Kriers 1975 erschienenes Buch Stadtraum in Theorie und Praxis kann als umfangreichste programmatische Veröffentlichung der Nachkriegszeit zur Stadt Stuttgart gelten. In der Tradition der Idealpläne von Nikolaus Friedrich von Thouret stellt Rob Krier darin ein Modell zum Umbau der gesamten Stuttgarter Innenstadt vor. Auf ganz ähnliche Weise versammelt das von Piero Sartago 1978 initiierte Projekt „Roma Interrotta“ Interventionen prominenter Architekten in Giovanni Battista Nollis Plan von Rom. Dieser Arbeit am Stadtbild stellen andere Manifeste wie Oswald Matthias Ungers‘ und Rem Koolhaas‘ „Berlin: ein grünes Archipel“ von 1975 eine Entwurfsmethode gegenüber, die stärker mit Techniken der Collage, der Superimposition und der Verfremdung arbeitet.

Im ersten Teil des Entwurfs werden wir in Auseinandersetzung mit möglichen Vorbildern eine geeignete Form für ein (Anti-)Manifest für Stuttgart entwickeln und das ARCH+ feature gemeinsam als Redaktion produzieren. Die Arbeit hieran muss voraussichtlich vor Weihnachten abgeschlossen sein. Anschließend sollen die diskutierten Ansätze für architektonisch-stadtplanerische Manifeste individuell oder in Gruppen weiterentwickelt werden. Wir wollen dabei auch untersuchen, ob sich das Werkzeug des Idealplans womöglich jenseits seiner chauvinistischen Tradition ganz anders verwenden lässt. Eine erste Anregung hierfür liefern uns Gilles Deleuze und Félix Guattari: „Die Karte ist das Gegenteil einer Kopie, weil sie ganz und gar auf ein Experimentieren als Eingriff in die Wirklichkeit orientiert ist. Die Karte reproduziert kein in sich geschlossenes Unbewußtes, sie konstruiert es.“ (Gilles Deleuze, Félix Guattari: Tausend Plateaus. Kapitalismus und Schizophrenie. Berlin: Merve 1992, S. 23f.)

Entwicklung der modernen Architekturtheorie (Vorlesung)

Dozent: Prof. Trüby, Stephan

Komplex Architektur
Architektur ist die vielleicht komplexeste Kulturtechnik, die die Menschheit hervorgebracht hat. Nirgendwo sonst – weder in der Literatur noch im Theater noch in den Bildenden Künsten etc. – fallen wirtschaftliche, technisch-wissenschaftliche, künstlerische, rechtliche, mediale, religiöse und politische Interessen so ineins wie beim Bauen. Doch seit Anbeginn der Moderne um 1800 – dies ist die Ausgangsthese der Vorlesungsreihe – kann immer weniger Rede von der Architektur im Sinne eines klar umrissenen oder gar enzyklopädischen* Fachgebiets sein: aus der Disziplin Architektur ist ein Komplex Architektur geworden. Dieser wird im Rahmen der Vorlesungen systematisch entfaltet: Auf zwei Lektionen mit einführendem und theoretischem Charakter folgen Untersuchungen über das Verhältnis von „Architektur und Politik“, „Architektur und Religion“, „Architektur und Medien“, „Architektur und Recht“, „Architektur und Kunst“, „Architektur und Wissenschaft“ sowie „Architektur und Wirtschaft“. Die Vorlesungsreihe schließt mit einem Blick in die Zukunft der Architektur.

*Vgl. Gerd de Bruyn: Die enzyklopädische Architektur. Zur Reformulierung einer Universalwissenschaft, Bielefeld: Transcript, 2008.

Architektur- und Stadtplanungskolloquium (Ringvorlesung)

Diese Ringvorlesung im WS 2021/22 wurde vom IGmA organisiert, koordiniert und moderiert.

In der Veranstaltungsreihe werden aktuelle Positionen in Architektur und Stadtplanung aus Sicht der Lehrenden und besonderen Gästen der Fakultät vorgestellt und reflektiert.

Das Thema der Ringvorlesung im Wintersemester 21/22 ist "Bauen ohne Beton?".

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