Promotionen und Promotionsvorhaben

Doktorand*innen von Prof Dr. Stephan Trüby, Universität Stuttgart

Verena Hartbaum (Universität Stuttgart; Promotion an der TU München):

ZWISCHEN KONFLIKTREGULIERUNG UND KONSENS. EINE ARCHITEKTUR- UND VERFAHRENSGESCHICHTE AM BEISPIEL DER BERLINER REPUBLIK

Der Arbeit liegt die Annahme zugrunde, dass Architektur – als eine für gewöhnlich konservative bzw. affirmative und daher „konfliktscheue“ Disziplin – nicht ohne die mit ihr verknüpften politischen und administrativen Vorgänge verstanden werden kann und Architekturgeschichte daher immer auch Verfahrensgeschichte sein muss. Als verfahrenstechnisch hoch entwickelter Stabilisierungsmechanismus bestehender Zustände übernimmt Architektur eine wichtige gesellschaftliche Funktion; darauf reduziert bleibt sie jedoch weit hinter ihren Möglichkeiten zurück, so eine grundlegende Annahme, die zum Verfassen der Arbeit motivierte.

Zunächst werden sowohl klassische Verfahren der Architektur als auch Strategien und Methoden der Steuerung von Planungspräferenzen verfahrenstheoretisch analysiert und wirkungsgeschichtlich anhand von Architektur- und Planungsbeispielen nachvollzogen. Als raum-zeitliches Terrain der Arbeit dient die Berliner Republik, deren implizite Sujets – wie etwa der Beitritt der ehemaligen DDR, die EU-Integration oder die Steuerungskrise – auch in ihrer Architektur- und Verfahrensgeschichte zu finden sind bzw. auch dort verarbeitet werden. Dabei wird deutlich, dass sich die Disziplin aktuell entweder in einem auf ökonomische Produktivität ausgerichteten Konfliktmodus befindet, welcher unter dem Begriff der „Konkurrenz“ zusammengefasst werden kann, oder aber in einem Modus der Konfliktvermeidung, der wiederum auf Strategien der Befriedung von Dissens oder auf konsenspolitischen Methoden basiert.

Anhand der Darstellung einer rund 150-jährigen Regulierungsgeschichte von Architektur und Stadtplanung wird außerdem gezeigt wann und warum welche Verfahren entstehen und wie sie sich verfestigen. Dabei zeigt sich, dass die Regulierung von Architektur und Stadtplanung immer mit historischen Konjunkturen und Wendepunkten verbunden ist und stets darauf zurückgeführt werden kann welches Konfliktverständnis und welche Konfliktkompetenzen eine Gesellschaft zum jeweiligen Zeitpunkt aufweisen kann. Vor dem Hintergrund dieser Erkenntnis wird abschließend die Frage aufgeworfen, ob die aktuellen Konzepte eines „Staying with Conflict“ nicht auch zu weitreichenden Veränderungen im Verfahrenswesen führen und so das Verhältnis zwischen Architektur, Konsens und Konflikt grundlegend neu definieren könnten.

Status: abgeschlossen 2023

M.A. Leonard Hermann (Promotion an der Uni Stuttgart):

IM BAUCH DES WALS – GLOBALE DIMENSIONEN DER EUROPÄISCHEN ARCHITEKTURTHEORIE

Die europäische Expansion hat auch das Nachdenken über Architektur geprägt: Ab dem späten 17. Jahrhundert häufen sich in architekturtheoretischen Texten Auseinandersetzungen mit außereuropäischen Kulturen. Diese Dimension ist bislang lediglich im Zusammenhang mit einzelnen Autoren erforscht worden – beispielsweise mit William Temple und seiner berühmten Diskussion des Sharawadgi von 1685. Das Promotionsvorhaben rückt sie dagegen ins Zentrum und untersucht ihre Funktion innerhalb verschiedener Theorieströmungen. Betrachtet werden soll dabei einerseits, in welcher Weise architekturtheoretische Systeme die Auseinandersetzung mit außereuropäischen Architekturen vorstrukturieren und andererseits, welche Rückwirkungen auf die weitere Theoriebildung zu beobachten sind. Schon ein allererster Blick in entsprechende Quellen zeigt, dass es sich um ein hochgradig von kolonialen Asymmetrien und Projektionsfiguren geprägtes aber durchaus mehrdimensionales Verhältnis handelt, das zudem noch als historisch dynamisch verstanden werden muss.

Im Mittelpunkt des Promotionsvorhabens stehen die Theorieströmungen des akademischen Neo-Klassizismus, des Pittoresken und des Organizismus. Als historischer Ausgangspunkt aller drei Systeme kann die Neubegründung des Vitruvianismus im Umfeld der sogenannten Querelle des Anciens et des Modernes ab den 1670er Jahren gelten. Ihre intellektuelle Tradition lässt sich bis ins späte 19. Jahrhundert verfolgen – punktuell auch darüber hinaus. Als Untersuchungsgegenstand dient dem Promotionsvorhaben in erster Linie der Korpus architekturtheoretischer Schriften, der im Betrachtungszeitraum in Europa entstanden ist. Der weitaus größte Teil kanonischer Veröffentlichungen stammt dabei aus Frankreich und England, in geringerem Umfang aus Deutschland und Italien. Betrachtet werden Schriften, die als Diskursereignisse in nachvollziehbarer Weise auf frühere Positionen Bezug nehmen, selbst weitere Beiträge angestoßen haben und darüber hinaus Auseinandersetzungen mit außer-europäischen Architekturen enthalten. Ob diese globale Dimension jeweils akzidentiell oder von grundsätzlicher Bedeutung ist, soll durch eine Diskussion der Texte im Zusammenhang mit den genannten Theorieströmungen geklärt werden.

Das Promotionsvorhaben leistet damit einen Beitrag zum Verständnis nach-klassischer Architekturtheorie im Kontext des europäischen Kolonialismus: Entsprechende Bedeutungsebenen zeigen sich in den Quellen auf sehr unterschiedliche Weise und werden selten ausdrücklich als solche benannt. Sie sind deshalb für eine traditionelle Ideengeschichte nur begrenzt zu erfassen. Das Vorhaben nutzt stattdessen begriffsgeschichtliche und diskursanalytische Methoden, um einem historisch-immanenten Theorieverständnis gerecht zu werden.

Status: laufend

M.A. Philip Krüpe (Promotion an der Uni Stuttgart):

GEFÜHL UND GEWALT: "MALERISCHE" ARCHITEKTUR UND STADTPLANUNG IM ENGLISCH- UND DEUTSCHSPRACHIGEN RAUM SEIT DEM 18. JAHRHUNDERT. EIN ÄSTHETISCHES KONZEPT AFFEKTIVER KONTROLLE UND (SOZIAL)RÄUMLICHER SEGREGATION

In meinem Promotionsvorhaben untersuche ich die These, dass moderne Architektur und Stadtplanung, die sich auf das ästhetische Konzept des Malerischen beziehen, als Entwürfe affektiver Kontrolle und (sozial-räumlicher) Segregation fungieren.

Das Malerische, vornehmlich im englisch- und deutschsprachigen Raum verbreitet, entwickelte sich in den Architektur-, Städtebau- und Kulturdiskursen des 18. bis 20. Jahrhunderts. Der Begriff (im Englischen: the Picturesque) beschreibt atmosphärisch-idyllische Erscheinungen, die das Vernakuläre, Landschaftliche sowie Identitär-Nostalgische charakterisieren und meistens im vermeintlichen Kontrast zu den industrialisierten Großstädten und rationalisierenden Planungsstrategien stehen. Beginnend in der Landschafts- und Architekturmalerei sowie der Gartengestaltung fand das Konzept seither unter anderem Anwendung in Architektur und Siedlungsbau, in der Freizeitparkgestaltung, im Tourismus-Marketing oder bei Bildproduktionen in Print- und Digital-Medien.

Seit dem 18. Jahrhundert kam es in Europa und den USA zu Nationenbildungen, mit denen auch neue ästhetische Konzepte wie das Malerische einhergingen, das kollektive Identitäts- und Erinnerungsbildung affektiv hervorruft und im Sinne einer Containment-Strategie wirksam werden kann. Kollektive, Regime und Unternehmen machten sich das kontrollierende Effektpotential dieses Konzeptes zu eigen und wenden es bis heute auf verschiedene Modalitäten – von flachen Bildern über immersive Parkgestaltung bis hin zum Siedlungsbau – (bio-)politisch an; von Beginn an werden dabei sozioökonomische und rassistische Ausschlüsse produziert.

Status: laufend

Uta Leconte, M.A. (Promotion an der TU München):

WORLD TRADE CENTERNESS. REPERCUSSIONS OF THE TWIN TOWERS

World Trade Center 1 und 2 in New York, bekannt als die Twin Towers, wurden 1973 fast zeitgleich mit dem Ende des Goldstandards, dem Beginn eines neuen ökonomischen und kulturellen globalen Systems, eröffnet. Die Twin Towers, die während der Terroranschläge vom 11. September 2001 gezielt zerstört wurden, sind auch nach ihrer gewaltsamen Zerstörung starke Ikonen und repräsentieren das globale System, wie es seit den 1970er Jahren entstanden ist.

Diese Dissertation beginnt mit dem paradoxen Ungleichgewicht zwischen der starken Berühmtheit der Twin Towers als ‘das’ World Trade Center und den weitgehend unbekannten Hunderten von bestehenden World Trade Centers weltweit. Sie analysiert die Wechselbeziehung zwischen den Twin Towers, den vielen World Trade Centers und der globalen Organisation, die die Handelsmarke der World Trade Center besitzt, der World Trade Centers Association. Ziel der Dissertation ist es, zu verstehen, warum und wie die Twin Towers zur Repräsentation des globalen Systems wurden und warum und wie es zu ihrer Verbreitung in einer Serie von World Trade Centers kam.

In einem abduktiven Forschungsansatz wird ein theoretischer Rahmen entwickelt, um ein Phänomen zu beobachten und zu beschreiben, das als World Trade Centerness nicht nur als Serie von Gebäuden, sondern auch als Verbreitung von vielfältigen Auswirkungen auf den kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Bereich geprägt wurde. In drei Hauptkapiteln werden in dieser Dissertation zunächst die relevanten Konditionen und Merkmale der Twin Towers untersucht, die ihre spezifische Wirkungsweise ermöglichten. Zweitens macht sie die weitgehend unbekannte Vielfalt der World Trade Centers sichtbar, indem sie diese räumlich abbildet und kontextualisiert. Drittens werden durch die Ausarbeitung von Elementen von World Trade Centerness qualitative Aspekte der Proliferation und der Auswirkungen der Twin Towers formuliert.

Am Beispiel der World Trade Center Twin Towers und ihren Auswirkungen zeigt diese Dissertation, wie Architektur das instabile globale System, wie es seit den 1970er Jahren besteht, stabilisiert. Sie zeigt, wie Architektur die Instrumentalisierung von Gebäuden innerhalb dieses globalen Systems ermöglicht. Indem die Dissertation die Einbettung der Architektur in politische und wirtschaftliche Konditionen beschreibt, vermittelt sie Wissen über Architektur als Kulturtechnik und über die Mechanismen des globalen Systems selbst: wie es sich organisiert, funktioniert und erhält.

Status: abgeschlossen 2021

Dipl. Ing. Elena Markus (Promotion an der TU München):

ZUM (DIRTY) REALISM: ANALOGE ARCHITEKTUR 1983-1987

Die Analoge Architektur entstand an der ETH Zürich unter Mitwirkung von Fabio Reinhart, Miroslav Šik und Luca Ortelli. Mit der gleichnamigen Wanderausstellung fanden die Bilder für kurze Zeit viel Resonanz im europäischen Architekturdiskurs. Die analogen Bilder stellten in den 1980er Jahren ein besonderes architektonisches Konzept dar, welches die fragile "schmutzige" Realität der postindustriellen Zeit und die einzigartige urbane Realität in der Schweiz visualisierte. Die Analoge Architektur wird in der folgenden Arbeit im soziokulturellen Kontext des schmutzigen Realismus betrachtet und in Bezug auf den politisierten Begriff des Realismus im Architekturdiskurs des 20. Jahrhunderts diskutiert.

Status: abgeschlossen 2022

Martin Murrenhoff (TU Berlin; Promotion an der TU München):

DIE TIEFE STADT. ARCHITEKTUR- UND INFRASTRUKTURGENESE IN PARIS UND MÜNCHEN. EINE MODERNISIERUNGSGESCHICHTE

Die „historischen“ Zentren europäischer Städte unterliegen im Verlauf des 20. Jahrhunderts einer weitestgehend unsichtbaren Transformation. Im Querschnitt betrachtet zeigen sich ihre Anlagen als nahtloser Zusammenschluss historischer und moderner Strukturen. Unterirdische Infrastrukturen – Bahnhöfe des Nah- und Fernverkehrs, Parkhäuser, technische Anlagen zur Ver- und Entsorgung und weit vernetzte Untergrundpassagen – gehen eine vielschichtige Verbindung mit der historischen Substanz ein. Das Dissertationsprojekt untersucht, wie die hybriden Komplexe entstanden sind und wie sich die historische Stadt im Zuge ihrer Entwicklung veränderte. Die These ist, dass die moderne die historische Stadt unterwandert hat. Unter dem Einfluss restriktiver Baugesetzgebung führten Wachstums- und Modernisierungsprozesse zu einer weitgehend unbemerkten, inwendigen Expansion architektonischer wie infrastruktureller Dimensionen, und damit zu einer tiefgreifenden Veränderung der Zentren. Die Arbeit verfolgt diese allgegenwärtige, bisher jedoch weitgehend undokumentierte, Entwicklung vergleichend am Beispiel der Städte Paris und München. Während Architektur- und Städtebaudiskurs sich in der Regel mit dem Hochbau befassen, geht es im hier vorgestellten Promotionsvorhaben um die Beziehung von Stadt, Architektur und Infrastruktur, das Verhältnis von Gestaltungs- zu Ingenieurdisziplinen, die Dimension des Unsichtbaren und letztlich um die Verhandlung von Bewahrung und Veränderung.

Status: laufend

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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