IGmA-Lehrveranstaltungen SoSe 2021

Alles Anti? Kritik als Projekt. Dagegensein als Methode (Seminar)

Dozierende: Hermann, Leo; Krüpe, Philipp; Oehy, Sandra

"Nothing can overcome the resistance to theory since theory is itself this resistance."
– Paul de Man

„The function of criticism should be to show how it is what it is, even that it is what it is, rather than to show what it means.”
– Susan Sontag, Against Interpretation

Was der belgisch-amerikanische Literaturwissenschaftler Paul de Man in seinem 1982 erschienen Aufsatz "The Resistance to Theory" beschreibt, ist einerseits ein Grundpfeiler kritischen Denkens: der Widerstand gegen Fixierung, Schließung und Reaktion. Derartige Tendenzen in der Architektur untersucht das IGmA seit mehreren Jahren im Rahmen unterschiedlicher Forschungsprojekte. Andererseits schlägt Kritik bei de Man dialektisch um in den positiven Kern seiner Disziplin. In diesem Sinne wollen wir fragen, ob sich aus Kritik ein positives Projekt entwickeln lässt: Gibt es Anti-Räume – und wie könnten diese aussehen?

Wir nähern uns Kritik als einer intellektuellen Methode – von den Systemen des klassischen Idealismus über die negative Dialektik in der kritischen Theorie bis hin zu Queer- und Post-Colonial Theory – durch die Diskussion klassischer Texte von Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Theodor Adorno, Hannah Arendt, Susan Sontag, Sara Ahmed und anderen. Zugleich untersuchen wir Kritik als ästhetisches Projekt im Sinne der Überaffirmation: Wir diskutieren den Surrealismus und seine Rezeption bei Rem Koolhaas, die Situationistische Internationale, die Londoner Independent Group und die Pop-Architektur der 1960er Jahre von Archigram, Robert Venturi und Denise Scott-Brown, Analoge Architekturen von Miroslav Šik, die Anarchitecture des Künstlers Gordon Matta Clark, sowie den zeitgenössischen „Radical Postmodernism“ von FAT Architecture, CAN und anderen. Ästhetiken wie der Dekonstruktivismus oder der von Liane Lefaivre propagierte „Dirty Realism“ sollen dabei ebenso zur Sprache kommen wie die Praktiken zeitgenössischer Architekturbüros.

Klar ist: Kritik muss eine aktive Handlung sein, wenn sie produktiv werden soll. In diesem Sinne werden die Studierenden neben einem Referat im Laufe des Semesters auch kurze Inputreferate im Video- oder Textformat zu den Inhalten produzieren, die in Form eines Wikis gesammelt werden. Als formale Referenz hierzu können die Input-Referate aus „In the Making – Architektur und Fernsehen“ vom vergangenen Semester dienen. Das Seminar versteht sich als methodologisches Experimentierfeld für das Entwurfsstudio „Anti-Stuttgart – eine bestimmte Negation“, steht aber auch Studierenden offen, die daran nicht teilnehmen. Je nach Infektionsgeschehen ist im Rahmen des Seminars die Teilnahme an Workshops mit Roland Batroff (Videoproduktion) in Stuttgart und Raul Walch in Weimar (ästhetische Praxis im öffentlichen Raum) möglich, in dem eine technische und künstlerische Auseinandersetzung mit dem Thema erarbeitet werden soll.

Der Besuch dieses Seminars ist verpflichtend für Teilnehmer*innen des Entwurfs „Anti-Stuttgart – Eine bestimmte Negation“ (Dozierende: Stefan Trüby, Leo Hermann, Philipp Krüpe, Sandra Oehy). Der Kurs steht aber auch weiteren interessierten Studierenden (BA/MA) offen.

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Architektur als Buch (Seminar)

Dozentin: Hartbaum, Verena

„Dieses wird jenes töten. Das Buch wird das Gebäude töten“, prophezeite der Erzdiakon Claude Frollo in Victor Hugos Roman „Der Glöckner von Notre-Dame“ (1831). Hugos Protagonist gibt sich skeptisch gegenüber jener ersten medialen Revolution, die mit dem von Johannes Gutenberg im 15. Jahrhundert erfundenen (Buch-)Druck mit beweglichen Lettern einherging. Sei doch die Baukunst immer die bedeutendste „Schrift“ gewesen, mit deren Hilfe visualisierte Botschaften – allen voran in Gotteshäusern – dargestellt werden konnten. Einige Jahrhunderte später kam die medientheoretische Diskussion durch die Herstellung und Verbreitung von Bild-, Ton- und Filmaufnahmen dann erst richtig in Fahrt. Und spätestens seit dem Einzug des Internets ist klar, dass wir alle auf einem Tiger reiten. Doch im Widerspruch zur traurigen Prophezeiung des Diakons Frollo konnte sich die Architektur bisher sämtliche mediale Transformationsprozesse zunutze machen. Und so sprechen wir heute im Seminar „Architektur als Buch“ von einer Vielzahl an Textgattungen und Darstellungsmethoden, die weit über die Wirkung eines gebauten Objektes hinausreichen. Dabei geht es über das traditionelle Buch hinaus natürlich auch um diverse digitale Medien. Neben Grundlagen der Medientheorie des 20. und 21. Jahrhunderts werden wir also die formalen Voraussetzungen sowie die Wirkungsweisen publizierter Architektur kennenlernen und analysieren – und im Anschluss daran auch die Frage nach einem tragfähigen Konzept für das Architekturbuchgenre der Zukunft erörtern.

IGmA-Video Seminarankündigung

ARCHITEKTURTHEORIE IN DEUTSCHLAND SEIT 1967/68 (AM BEISPIEL DES IGMA UND DER ARCH+ ): AKTEURE, POSITIONEN, (ANTI-)INSTITUTIONEN (Seminar)

Dozent: Prof. Trüby, Stephan

Das Seminar rekonstruiert deutschsprachige architekturtheoretische Debatten seit der Zeit um 1968 aus zwei Perspektiven: zum einen aus der institutionellen Perspektive des 1967 gegründeten Instituts für Grundlagen moderner Architektur und Entwerfen (IGmA) der Universität Stuttgart; zum anderen aus der antiinstitutionellen Perspektive der ebenfalls 1967 an der Uni Stuttgart gegründeten Zeitschrift ARCH+. Sowohldas Institut als auch die Zeitschrift prägen seit über fünf Jahrzehnten den Architekturdiskurs weit über den deutschsprachigen Sprachraum hinaus. Im Fokus des Seminars stehen Akteure wie Werner Durth, Helga Fassbinder, Jürgen Joedicke, Nikolaus Kuhnert, Vittorio Magnago Lampugnani, Aylâ Neusel, Philipp Oswalt, Michaela Ott sowie einzelne Themenfelder wie Kybernetik / Digitalisierung / Neue Technologien, Wohnungsfrage / Soziales Miteinander, Materialien / Nachhaltigkeit / Ökologie, Moderne sowie Methoden der Stadtplanung. Das Seminar versteht sich als Reallabor einer Buchproduktion, sodass in Ergänzung zur inhaltlichen Durchdringung auch redaktionelle Arbeiten wie Interviewtranskriptionen und Bildrecherchen zur Seminarleistung gehören werden.

IGmA-Video Seminarankündigung

Anti-Stuttgart - Eine bestimmte Negation (Entwurf)

Dozierende: Prof. Trüby, Stephan; Hermann, Leo; Krüpe, Philipp; Oehy, Sandra

Wir nähern uns Stuttgart mit dem Begriff der „bestimmten Negation“, der vom vielleicht berühmtesten Kind der Stadt Stuttgart geprägt wurde: Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Wenn wir ein Anti-Stuttgart planen wollen, geht es mit Hegel nicht um grundsätzliche Ablehnung, sondern um die kritische, präzise und pointierte Auseinandersetzung mit dem Bestehenden. Dagegensein ist in diesem Sinne eine Methode der Erkenntnis und zugleich ein ästhetisches Projekt. Im begleitenden Pflichtseminar „Alles Anti? Kritik als Projekt. Dagegensein als Methode.“ (Dozierende: Leo Hermann, Philipp Krüpe, Sandra Oehy) untersuchen wir beide Aspekte genauer.

In einer ersten Übung untersuchen wir das Kulturphänomen Meme – ein schnell verbreitbarer Medieninhalt, der aus Bild, Text, Ton und/oder Video besteht. Memes können sowohl als absichtlich unterkomplexe Vermittler fungieren, aber auch Orte kritischer Kulturproduktion sein. In einem nächsten Schritt produzieren die Studierenden einen filmischen Kommentar zu einer aktuellen Planung in Stuttgart, ihrem aktuellen Wohnort oder einem anderen begründeten Standort. Die notwendigen Tools für die Filmproduktion (Schnitt, Exportieren, Blender usw.) werden im Rahmen von Workshops mit Gastexpert*innen vorgestellt. Ausgehend von den erarbeiteten Kommentaren soll eine Gegenplanung entwickelt werden. Aufgabenstellung, Maßstab und Ästhetik sind frei wählbar – im Sinne einer negativen Bindung soll die Referenzplanung allerdings ablesbar bleiben. Anknüpfend an das Entwurfsstudio „IGmA TV“ vom vergangenen Semester werden die Projekte vorrangig im Medium Video erarbeitet. Ein wichtiger Methodenbestandteil ist das Livestreaming, das von Beginn an eine tragende Rolle spielt.

Im Rahmen des Entwurfs ist ein mehrtägiger Workshop mit Raul Walch von der Professur Kunst im öffentlichen Raum und neue künstlerische Strategien der Bauhaus-Universität in Weimar geplant, ebenso die Zusammenarbeit in Form einer Ausstellung oder Präsentation mit dem Festival „Current – Kunst und Urbaner Raum“, das im September in Stuttgart stattfinden wird. Die verschiedenen Ergebnisse des Entwurfs sollen außerdem in eine für Herbst 2021 geplante Konferenz in Kollaboration mit der IBA‘27 StadtRegion Stuttgart einfließen.

Der Besuch des begleitenden Seminars „Alles Anti? Kritik als Projekt. Dagegensein als Methode.“ (Dienstag Vormittag) ist verpflichtend für Teilnehmer*innen des Entwurfs.

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Entwicklung der modernen Architekturtheorie (Vorlesung)

Dozent: Prof. Trüby, Stephan

Komplex Architektur
Architektur ist die vielleicht komplexeste Kulturtechnik, die die Menschheit hervorgebracht hat. Nirgendwo sonst – weder in der Literatur noch im Theater noch in den Bildenden Künsten etc. – fallen wirtschaftliche, technisch-wissenschaftliche, künstlerische, rechtliche, mediale, religiöse und politische Interessen so ineins wie beim Bauen. Doch seit Anbeginn der Moderne um 1800 – dies ist die Ausgangsthese der Vorlesungsreihe – kann immer weniger Rede von der Architektur im Sinne eines klar umrissenen oder gar enzyklopädischen* Fachgebiets sein: aus der Disziplin Architektur ist ein Komplex Architektur geworden. Dieser wird im Rahmen der Vorlesungen systematisch entfaltet: Auf zwei Lektionen mit einführendem und theoretischem Charakter folgen Untersuchungen über das Verhältnis von „Architektur und Politik“, „Architektur und Religion“, „Architektur und Medien“, „Architektur und Recht“, „Architektur und Kunst“, „Architektur und Wissenschaft“ sowie „Architektur und Wirtschaft“. Die Vorlesungsreihe schließt mit einem Blick in die Zukunft der Architektur.

*Vgl. Gerd de Bruyn: Die enzyklopädische Architektur. Zur Reformulierung einer Universalwissenschaft, Bielefeld: Transcript, 2008.

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