„Günstige Bedingungen“ schaffen: die Architektur der Steuervermeidung (2023-26)

Die Offshore-Welt, die Schattenwirtschaft, die „Achse der Steuervermeidung“ ... Steueroasen rufen bei Ökonom*innen poetische Raummetaphern hervor, werden aber von Architekt*innen weitgehend ignoriert. Die klassische Definition einer Steueroase konzentriert sich auf die „steuerliche Wettbewerbsfähigkeit“, aber die Schaffung so genannter „günstiger Bedingungen“ umfasst auch aggressive Marketingkampagnen und städtebauliche Maßnahmen, die darauf abzielen, ausländische multinationale Konzerne und Privatinvestoren anzuziehen. Wie sich diese Maßnahmen auf die städtische Umwelt auswirken, ist in der Architektur noch nicht ausreichend erforscht worden. 

Der Mythos der Steueroasen lautet, dass „das Geld den Boden nicht berührt“. Ein Teil des Problems liegt am Horizont des Gros‘ der Wirtschaftsliteratur, die dazu neigt, an nationalen oder staatlichen Grenzen Halt zu machen. Demgegenüber konzentriert sich diese Untersuchung auf kleinere Maßstäbe und sucht nach Beweisen für Steuervermeidung in städtischen Räumen und architektonischen Formen. Aus investigativen Berichten geht hervor, dass der Druck durch die jüngsten Leaks und die anschließende Verabschiedung neuer internationaler Gesetze den Umfang von Offshore-Vermögen verringert haben könnte. Aber viel von diesem Reichtum hat sich jedoch in Immobilien verlagert, die nicht den gleichen internationalen Meldepflichten unterworfen sind. Diese Käufe werden oft über Netzwerke von Briefkastenfirmen in anderen Steuerparadiesen getätigt, die eine alternative globale Geografie der Geheimhaltung schaffen. Die Folgen der (anonymen) unversteuerten Milliarden, die in (oft unbewohnte) Immobilien fließen, zerstören bereits die natürlichen Ressourcen und treiben die Ungleichheit voran. Inwiefern ist die Architektur von der Offshore-Wirtschaft abhängig oder sogar mitschuldig daran?

Vor diesem Hintergrund und inspiriert vom ICIJ (das über die Panama Papers berichtet hat) wurde im Jahre 2023 am IGmA das ICIA (International Consortium of Investigative Architects) gegründet, das während der kommenden drei Jahre mit einer wechselnden Gruppe von Studierenden und Forscherinnen die Auswirkungen unbezahlter Steuern auf die gebaute Umwelt untersucht. Eine Steueroase behauptet nie, eine zu sein, also müssen wir uns auf empirische Forschung verlassen, um unsere Annahmen zu bestätigen. Jedes Semester werden wir eine Exkursion in ein bekanntes Steuerparadies unternehmen und die dortigen Steuergesetze, städtischen Bedingungen und architektonischen Typologien untersuchen. Indem wir die Wirtschaftsberichterstattung zu Rate ziehen und unsere vielfältigen architektonischen Darstellungsmittel einsetzen, wollen wir die Schattenwelt in die Architekturdisziplin einbringen. Um unsere Ergebnisse einem breiten Publikum vorzustellen, werden wir eine Reihe von Kurzfilmen und einen Atlas produzieren, die im Rahmen von Ausstellungen präsentiert werden.

 

Kontakt: Adrianne Wootton Wilson

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